ZWEIFELN MIT ERNST [November - Dezember 2022]

Vom 26.11.22 bis 18.12.22 beteiligt sich die forschungsgruppe kunst an
dem Ausstellungsprojekt "AUS:RICHTUNG"
 der Gruppe projekt3drei im GEDOK Künstlerinnenforum Karlsruhe.





ZWEIFELN MIT ERNST

"Ich denke, also bin ich“ mit dieser Erkenntnis stellte der französische Philosoph René Descartes im Jahr 1637 grundsätzlich alles in Frage und wollte nur anerkennen was vernünftig klinge. Er präsentierte eine andere Sicht auf die Welt, fern von Mythen oder Religion. Alles was übrigbliebe, wäre über jeden Zweifel erhaben und sollte helfen, Wissenschaft von Quacksalberei zu unterscheiden.
Descartes ging wirklich vom Schlimmsten aus und nannte es den radikalen Zweifel. Er stellte sich rein hypothetisch vor, „dass ein boshafter Geist, der zugleich höchst mächtig und listig ist, all seine Klugheit anwendet, um mich zu täuschen; ich will annehmen, dass der Himmel, die Luft, die Erde, die Farben, die Gestalten, die Töne und alles Äußerliche nur das Spiel von Träumen ist, wodurch er meiner Leichtgläubigkeit Fallen stellt.
Dieser boshafte Geist, je nach Übersetzung auch Dämon genannt, ging nach Descartes als „cartesianischer Dämon“ in die Philosophiegeschichte ein. Der Philosoph hatte sich einen mächtigen Gegner geschaffen, zwar nur eine Denkfigur, ein Vehikel, aber er gab dem Zweifel damit ein Gesicht.
Dieser cartesianische Dämon kann uns in Vielem täuschen, aber nicht darin dass wir an allem zweifeln. Unser Zweifel ist echt. Oder könnten wir beim Zweifeln sinnvoll daran zweifeln, dass wir zweifeln? So haben wir mit dem Zweifel eine Gewissheit erlangt. Zweifeln ist ein Denkvorgang. Daran, dass es den Vorgang des Denkens gibt, können wir also nicht anzweifeln. Und für jeden Vorgang des Denkens muss es etwas geben, dass ihn ausführt. Dieses Etwas ist das ICH.
Mehr als 400 Jahre und 2 COVID - Pandemiewinter später dreht sich noch immer alles um das Zweifeln, jetzt angereichert mit der vermeintlich absoluten Fähigkeit des Glaubens, Deutens und Denkens jedes einzelnen Individuums. Dabei sollte man den Glauben weit über dem theologischen Aspekt hinaus betrachten. Neben dem religiösen Glauben und dem Glauben an die Wissenschaft begleitet uns in diesen besonderen Zeiten wieder verstärkt auf Schritt und Tritt der altertümlich anmutende Glaube an modernisierte Mythen. Begriffe wie Irrglauben, Wahrheit und Wissen werden in einen Topf geworfen, kräftig gerührt und dann wird nach der Vermengung mit Inbrunst, entsprechend der eigenen Informationsblase lautstark das Ergebnis präsentiert. Natürlich zertifiziert durch die eigene Deutungshoheit.
Unser Protagonist Ernst, der bewusst in Anlehnung an die Plastik „Der Denker“ des französischen Bildhauer Auguste Rodin posiert, ist augenscheinlich umgeben von der möglichen Vorstellung einer heilen Welt. Für den Einen ist unsere bewusst gewählte Umgebung Inbegriff von Heimat und für den Anderen einfach nur überbordender Kitsch. Aber hinter dieser plakativ wirkenden Inszenierung des Denkers stecken weitere Betrachtungsebenen.
Ernst, der als Momentaufnahme in starker Anspannung, muskellos und verinnerlicht über das derzeitige und/oder zukünftige Tun und Schicksal der Menschen nachsinnt. Ist das Pose oder Haltung? Und das ist aus unserer Sicht eine grundsätzliche und wichtige Frage im derzeitigen Diskurs unserer stark individualisierten Gesellschaft. Wieviel ICH und/oder wieviel WIR verkraftet unser Zusammenleben? Und was ist in unserem gemeinschaftlichen Wertesystem verhandelbar und was nicht? Dieses ständige Ausloten von Mehrheiten, mit mehr oder weniger mentalen Reibungen, muss auch ein Teil unseres gesellschaftlichen Diskurses bleiben. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse über die jeweiligen Inhalte und Mehrheiten sind das existenzielle Fundament unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens.
Ernst in seinem irritierend bunten Outfit erinnert entfernt an die Musterung des Erlenkönigs in der Automobilindustrie. Technische Neuentwicklungen die im Alltag, unerkannt von uns potentiellen Kunden, getestet werden. Ernst könnte solch ein Prototyp des neuen menschlichen Denkens und Handels sein. Jemand der faktenbasierte Entscheidungen trifft und sich dabei weniger von persönlichen Meinungen, Gefühlen und eindimensionalen Wertvorstellungen leiten lässt. Der sich seine menschliche Individualität bewahrt aber trotz alledem einen Blick für ein ausgewogenes gemeinschaftliches Wohlergehen behält.

"Ich denke, also bin ich im Recht." Das Zweifeln wir ernsthaft an!